Michael Post

Duett mit virtuellem Zwilling

Michael Posts Rezeption des Videos von Andreas Sorg
„EX PULS II für zwei identische Sängerinnen nach einem Gedicht von Kornelia Koepsell“, dargestellt von der Sopranistin Carola Schlüter

Liebe Carola,

Dein Video begeistert mich. Aus der selbstgewählten Einsamkeit der weitläufigen Landschaft der Corbièren Frankreichs kommend, schaue ich mir Deine Performance an. Kontemplativ eingestimmt, erlebe ich die beiden Stimmen, Gesten und Aktionen der identischen Sängerinnen als zauberhaftes Ereignis in einer eigenartig poetisch anmutenden Intensität. Der Garten als Bühnenbild bereichert die entrückte Atmosphäre des kongenial transformierten Gedichtes. In Versinnbildlichung der seltsamen Veränderung verwandelt sich der Schauplatz des Geschehens in einen idealen Ort Deiner metamorphischen Kunst.

In Gegenwart anheimelnder Vintage-Gartenmöbel, die offenkundig als „objets trouvés“ ihren Dienst tun, entfaltest Du die Anmut einer Hohepriesterin ohne religiösen Auftrag. Die silbrig flimmernden Blätter der laubenartig in Erscheinung tretenden Bäume und Büsche verweisen auf einen wehenden Odem, der vor der winddurchlässigen Einfriedung des Gartens keinen Halt macht. Einige liebevoll arrangierte Topfpflanzen signalisieren am Wegesrand eine Art domestizierter Natur, welche auf die Nähe umbauter Räume schließen lässt und somit die Erwartung eines nahenden Verzehrs von Kaffee und Kuchen, als Krönung sonntäglicher Idylle in uns wach werden lässt. Dies erweist sich jedoch als trügerisch. Der Schauplatz des fortgehenden Szenarios zeugt vielmehr von einem akausalen Handlungsstrang, der vom Zauber der Rätselhaftigkeit geprägt ist und das Bild einer Zwischenwelt zu erwecken scheint.

Dein Agieren vor einem fiktiven Publikum im dreidimensionalen Raum findet in zeitlich linearer Abfolge statt. Die detailliert strukturierte Konzeption der Performance am Set entfaltet jedoch ihre bildliche Wirkkraft im Resultat des sich anschließenden Cut Up Verfahrens, welches die Simultanität ehemals aufeinander folgender Handlungsabläufe ermöglicht. Die Inszenierung der geheimnisvollen Ereignisse ist a priori für eine Video Reproduktion bestimmt. Im Bildwesen mutiert diese Wirklichkeit zu einer minutiös collagierten Groteske. Die multimediale Komposition verdichtet sich zu jenem bizarren Spiel, das in einem Faszinosum des Unergründlichen einmündet.

In zweigeteilter Einsamkeit wird nun das simultane Gebaren der beiden identischen Sängerinnen zelebriert. In minimalistischer Expressivität erzielen die strengen Akzentuierungen des Gesangs, der Mimik und der Gestikulation eine fast schon hypnotische Wirkung. In der paradoxalen Dopplung erscheint die Gegenwart des Hienieden in der Art eines karnevalesken Nebeneinander oder im Wechsel eines nahenden schmerzlichen Abgrund ins Nichts.
Zum Ende hin begegnen sich, gegenüber kniend, die beiden Hohepriesterinnen. Lapidar lassen sie den permanent anwesenden rot schwarzen Würfel auf der dazwischen stehenden Bank hin und her schlittern, dann geht er über den Styx, bevor die identischen Sängerinnen im gegenseitigen Hell Dunkel verschwinden. Ich freue mich, dass mein Würfel in diesem imposanten Kunstwerk als ein „Mac Guffin“ präsent ist.
Viele Grüße,
Michael