Michael Post

embodying colour V

Auszug aus der Rede von Michael Post, anlässlich der Ausstellungseröffnung von embodying colour V, am 13.07.2019, Museum Wilhelm Morgner, Raum Schroth.

Seit sechs Jahren arbeiten wir an dem Projekt embodying colour. Die meisten der beteiligten Kolleginnen und Kollegen dieser Ausstellungsreihe sind seit dem Jahr 2013 dabei. Einige haben den Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit verlagert oder signalisierten nicht mehr dabei sein zu können, indes etliche Ausstellende aus dem In- und Ausland neu hinzukamen. Das Kulturamt der Stadt Wiesbaden hatte Heiner Thiel und mich damals eingeladen, in der Kunsthalle der Stadt eine Ausstellung zu realisieren. Geplant war lediglich eine Präsentation unserer eigenen Arbeiten. In uns wurde jedoch der Gedanke wach, der Kulturdezernentin vorzuschlagen, weitere Künstlerinnen und Künstler zu der Ausstellung einzuladen, deren Werke vom Dialog zwischen Form und Farbe bestimmt werden. Die Stadt stimmte dieser Idee zu und so begann die Ausstellungsreihe embodying colour. Zusammen mit dem Kulturamt luden wir damals neun weitere, international agierende Kolleginnen und Kollegen ein, in deren Arbeiten, ähnlich der unsrigen, die Wechselwirkung skulpturaler wie farbiger Erscheinungsformen ihren Ausdruck finden. In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung wird das Zusammenspiel von zwei- und dreidimensionaler Präsenz durch die jeweilige Wirkung des Materials und der Farben bestimmt, die in unterschiedlichsten Techniken angewendet werden.

Um ehrlich zu sein, haben wir mit einem so großen Publikumserfolg gar nicht gerechnet, dasselbe gilt auch für die nachfolgenden Stationen, der multiple-art in Zürich, dem Vasarely Museum in Budapest und dem Haus Metternich in Koblenz. In den drei angesagten Kunstmagazinen Ungarns wurde die Ausstellung sehr positiv besprochen. Uns wurde sogar von dort mitgeteilt, das embodying colour die meistbesuchteste Ausstellung des Jahres 2014 war. In der nun vorliegenden Publikation geben wir unter anderem einen Artikel von Mónika Zsikla des Magazins Müertö wieder.

Die Ausstellungen und Kataloge von 2013 und 2014 wurden neben einiger privater Sponsoren hauptsächlich aus Mitteln des Kulturetats der Stadt Wiesbaden, der Stadt Koblenz, sowie des Landes Rheinland-Pfalz finanziert, sonst hätten wir das Projekt nicht stemmen können. Nicht selten sagte man uns: Endlich mal wieder eine Ausstellung sinnlicher Freude, das sei mittlerweile doch eher selten geworden. Das hat uns wirklich sehr gefreut. Ein Schüler meinte sogar: konzeptuelles Denken und sinnliche Freude beim Machen und Betrachten von Kunst sei doch kein Widerspruch. Manchmal habe er im Kunstunterricht den Eindruck, es ginge nur noch um die Entschlüsselung versteckter Botschaften, deren Zweck allein darin zu liegen scheine, die gesellschaftspolitische Haltung des zeitgenössischen Künstlers in den Vordergrund zu stellen, als die Wirkkraft der Kunst selbst.

Unsere gemeinsamen künstlerischen Wurzeln sind vor dem Hintergrund diverser Ausprägungen konkreter Kunst Europas und der minimalistischen Kunst Amerikas zu verstehen, wie es eingangs Prof. Dr. Matthias Bleyl in der nun vorliegenden Publikation beschreibt. Diese Kunst beschäftigt uns seit unserer Jugend. Unsere Annäherung an eine Verkörperung der Farbe aus der skulpturalen, wie aus der farbmalerischen Perspektive, trifft sich irgendwo in der Mitte.

Der Fokus unserer Wahrnehmung richtet sich auf Gemeinsamkeiten, angesichts der unterschiedlich in Erscheinung tretenden Werke,
 deren Akteure in den verschiedenen Lebensräumen dieser Welt zu Hause sind. Es gibt Übereinkünfte künstlerischer Phänomene, die wir herausarbeiten, weil sie uns existentiell beschäftigen. Wir diskutieren sie mit unseren Kolleginnen und Kollegen, und wir erkennen sie wieder in der Wahrnehmung ihrer, wie der unsrigen Arbeiten.

Wir zeigen ausschließlich halbplastische und skulpturale Werke. Durch unterschiedlich farbgebende Komponenten wird die Farbe zum Bestandteil des jeweiligen Körpers. Lichtverhältnisse und der Perspektivenwechsel des Betrachters bestimmen den fortlaufenden und sich stetig verändernden Dialog zwischen Farbe und Form. Beide Ebenen zeigen in ihrer Verbundenheit eine deutliche Präsenz in der Dreidimensionalität, die sich als Plastizität im ästhetischen Raum erweist.

Die vollplastischen wie die an der Wand befestigten Formen sind in ihrer Loslösung vom flachen Bildwesen Teil des realen Raumes in dem wir leben. 
In einer Art Zirkelstruktur begründet sich die unauflösliche Fragestellung nach einer Verschmelzung von eher bildlichen oder eher plastischen Erscheinungsformen, aus der es aber in Wirklichkeit kein Entrinnen gibt. Insofern sind die Arbeiten in einer fast paradoxalen Erscheinungsform angesiedelt, die irgendwo zwischen zweidimensionaler
 und dreidimensionaler Ordnung im ästhetischen Raum liegt. Die doppelbödige Existenz, welche die ausgestellten Werke auszeichnet, 
steht stellvertretend für ein generationenübergreifendes und immer wieder neu formuliertes Phänomen unserer Perzeption farbiger Plastik: Die Existenz flächiger Eigenschaften eines Bildes, die hier im realen Raum latent in den Objekten enthalten sind, wird zum Teil unserer Wahrnehmung der jeweiligen Gesamterscheinung dieser Objekte. Hinweise auf überkulturelle und historische Bezüge, in deren Folge diese Werke zu verstehen sind, lassen sich in der konkreten Kunst Europas, genauso wie in der abbildfreien und minimalistischen Kunst der USA wiederfinden, wie es Matthias Bleyl aus wissenschaftlicher Perspektive in der Einleitung unserer Publikation beschreibt. Innerhalb einer objektiv nachvollziehbaren, thematischen Festlegung haben wir unserer subjektiven Wahrnehmung substantieller Schönheit den Vorrang gegeben.

Die Konzentration auf die bewusste Steuerung unserer Blickrichtungen im
 Raum hat sich als tragfähige Methodik eines pragmatischen Handelns erwiesen. Dennoch gibt es offensichtlich gute Gründe, sich auch andere
 kognitive Fähigkeiten nutzbar zu machen, um über das Spektrum determinierter Sichtweisen hinaus unsere Wahrnehmung zu erweitern. Die permanent getakteten Aktivitäten unseres Sehens und Denkens können einer bewussten Langsamkeit unterzogen werden – sie begünstigt eine ästhetische Strategie, welche für den Künstler, wie für den verweilenden Betrachter, gleichermaßen interessant zu 
sein scheint. Gelegentlich wird der latenten Zügellosigkeit eines schweifenden Blickes ein emotionaler Zugewinn attestiert. Sich in größerer Gelassenheit in räumlichen Konstellationen, beispielsweise denen der Kunst oder einsamer Naturlandschaften zu bewegen, lässt die sichtbare Welt mitunter in einem anderen Lichte als denen des Alltags erscheinen. Nennen wir es eine Kultur des Verweilens und des Entdeckens, welche uns dazu verführen kann, jenseits reiner Zweckdienlichkeit, also eher spielerisch motiviert, Perspektiven- oder Standortwechsel einzunehmen. Das wünschen wir auch den Besuchern dieser Ausstellung.

Wir haben die Chance für dieses fortgehende Projekt genutzt, um im Dialog mit unseren Freunden Erkenntnisse und damit verbundene ästhetische Perspektiven zum Gegenstand gemeinsamer Betrachtungen werden zu lassen. Die Oberflächen der Werke reichen von der klassischen Bemalung bis hin zu heutiger, industrieller Farbveredelung, wie sie auch im Design Verwendung findet. Die durch Licht aktivierte Wirkung farbiger Wirklichkeit lässt sich hier an den vielfältigen, materiell geschaffenen Voraussetzungen ablesen, von Licht absorbierender, opaker Bemalung bis hin
zu Hightech-Glanzlackierungen mit reflektierender Spiegelwirkung. Wir verstehen diese Ausstellung auch als eine Hommage an das mittlere und das kleine Format, weil wir feststellen konnten, dass solche Kunstwerke oftmals präsenter sein können, als großformatige Objekte. Wir zeigen auch kontemplative Werke, deren Bedeutung uns gerade heute wichtig ist, weil Stille und innere Dialogfähigkeit fast schon verdächtig zu sein scheint.

Um weiterhin motiviert, eigenverantwortlich
 und auftragsfrei embodying colour kuratieren zu können, resümierten wir zunächst, dass es niemals zu Unannehmlichkeiten zwischen uns und allen Beteiligten gekommen ist. Diesem Umstand und den vielen positiven Erfahrungen und Begegnungen ist es zu verdanken, dass wir unsere Freunde in den Ateliers und Studios wieder besucht haben, um uns mit ihnen auszutauschen und embodying colour V zu realisieren.

Ganz sicher hätten wir ohne den durchweg positiven Zuspruch und der erfreulichen Reaktionen, keine Energie entwickeln können, weitere Projektrealisierungen auf uns zu nehmen. Hätten wir ein rein kommerzielles Interesse gehabt, was wir übrigens grundsätzlich nicht für ablehnungswürdig halten, wäre sicher alles sehr viel schwieriger, bzw. aus naheliegenden Gründen unter Kolleginnen und Kollegen nicht durchführbar gewesen.

Starke Erlebnisse unserer sinnlichen Erfahrung, auch sogenannte Aha-Erlebnisse, können unser generelles Interesse an der Phänomenologie der Wahrnehmung wecken oder steigern. In den Gesprächen wurde uns bestätigt, dass sich dieses elementare Thema der Kunst, sowie der darin enthaltenden durchaus unterschiedlichen Positionen, als ein wesentlicher Aspekt ihrer, wie unserer künstlerischen Arbeit verstehen lässt. Der dauerhaft und bewusst angestrebte Perspektivenwechsel gehört dazu, sowohl im konkreten als auch im übertragenen Sinne. Das scheinen alle an dieser Ausstellung Beteiligten in ihren gedanklichen, wie in ihren räumlichen Bezügen zu reflektieren. Über die unterschiedlichen kulturellen und künstlerischen Sozialisationen hinweg scheint die Intension an einem nicht alimentierten, intensiven sowie eigenverantwortlichen Leben stark genug zu sein, sich unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen und Phänomenen, nämlich denen der Kunst wie denen des Alltags, nach wie vor mit Leidenschaft anzunähern, ohne sich verbiegen zu lassen oder in dogmatische Haltungen zu verfallen. Die Gelegenheiten, Assoziationen und Empfindungen in landschaftlichen wie umbauten Räumen zum Gegenstand eines Abgleichens von Wahrnehmungsebenen werden zu lassen, verstehen wir als Zugewinn. Unser Vergnügen an ernsthaften, wie humorvollen Gesprächen ist ganz sicher auch einer der Gründe, welcher uns mit unseren Freunden verbindet, trotz oder gerade wegen der zum Glück sehr unterschiedlich in Erscheinung tretenden Werke.

Nicht alle ausstellenden Künstlerinnen und Künstler konnten zur Ausstellungseröffnung kommen, sei es dem Umstand geschuldet, ihre aktuelle Arbeit nicht vernachlässigen zu dürfen, in allzu fernen Regionen zu leben oder krankheitshalber nicht dazu in der Lage sein zu können. Etliche sind jedoch heute hier. Ich werde jetzt die Künstler namentlich vorstellen: Nicholas Bodde (DE), John Carter (GB), Cosimo Cavallaro (I/CA) Christoph Dahlhausen (DE), Claudia Desgranges (DE), Julia Farrer (GB), István Háasz (HU), William Metcalf (USA), Müller-Emil (CH), Michael Post (DE), Gert Riel (DE), Rita Rohlfing (DE), Elisabeth Sonneck (DE), Eduard Tauss (AT), Heiner Thiel (DE), Jeremy Thomas (USA), Roy Thurston (USA), Bill Thompson (USA), Piet Tuytel (NL), Matthew Tyson (FR), Cecilia Vissers (NL), Peter Weber (DE), Ulrich Wellmann (DE)

Wir haben uns für eine Publikation entschieden, die nicht dem herkömmlichen Format eines Ausstellungskataloges entspricht, weil uns schlichtweg danach war, einmal etwas grundsätzlich anderes auszuprobieren. Nachdem wir sehr oft danach gefragt worden sind, was wir in der insgesamt siebzehnjährigen Kooperation, unseren ausgedehnten Reisen und Ausstellungen hier und dort erlebt haben, fühlten wir uns dazu ermuntert, in erzählerischer Weise, ergänzt von vielen Bildern, zu berichten. Kunstbegleitende Anekdoten gelten zwar in der nicht narrativen Kunst oftmals als Sakrileg, sogar als eine sprachliche Erscheinungsform, die dazu angelegt wäre, die Ernsthaftigkeit des selbstreferenziellen Kunstwerks in Frage zu stellen, wir sehen das jedoch anders. Für uns sind die prägenden Lebensumstände künstlerischen Denkens und Handelns und die damit verbundenen Betrachtungsweisen davon nicht zu trennen. Wir geben Auskunft über den Beginn und den Verlauf unserer Kooperationen, unserer Reisen und unserer Gespräche. Dazu wurden wir immer wieder ermuntert. Allerdings betreten wir hier wohl Neuland. Die Realisierung der Ausstellung, sowie die Publikation verstehen wir als Bestandteil unserer künstlerischen Arbeit, inklusive der Tatsache, dass wir damit auch unser Künstlerleben ein wenig selbst kuratieren, jedenfalls stellt es sich uns manchmal so dar.

Um einer ansprechenden Visualisierung der Bild-Textkombinationen, der Erzählungen, der zugeordneten Zitate aus der Fachwelt, sowie der abgehandelten Storys nicht entgegenzuwirken, haben wir auf die sonst üblichen detaillierten Bildlegenden verzichtet. Wir bitten den Leser, auf den angegebenen Home-Pages der Künstlerinnen und Künstler weitere Informationen abzurufen um sich detailliert mit den Biografien und den Werken zu beschäftigen.

Wir berichten über die immaterielle Bereicherung einer intensivierten Wahrnehmung hinsichtlich spielerisch motivierter Aktivitäten, freundschaftlicher Begegnungen, erfreulicher Kooperationen, assoziationsreicher Gespräche in kleinen wie großen Räumen des Lebens, der Kunst, der Reisen, der white cubes, der Landschaften, Küchen, Ateliers, Studios und Lokalitäten, diesseits und jenseits des Atlantiks. Entlang der planen wie der herauskragenden Flächen und Ausformungen aller 
in dieser Ausstellung gezeigten Objekte gleiten die Blicke über farbig gestaltete Oberflächen, Ecken und Kanten und Rundungen, fast beiläufig vermittelt sich eine Annäherung an das Wesen der Zeit und des Raumes und kann für jeden zu einem ästhetischen Ereignis werden.