Prof. Dr. Hans Zitko

Plädoyer für ein denkendes Sehen

zu den Wandobjekten von Michael Post, 1991

Der in Wiesbaden lebende Künstler Michael Post, der vorrangig an Problemstellungen in der Tradition der konkreten Kunst und der Minimal Art arbeitet, bewegt sich ausschließlich im Medium des Objekts; seine bevorzugten Materialien sind dabei Metall und in jüngerer Zeit Holz. Wesentlich ist diesen Objekten eine Formensprache, die ihre Mittel in präziser und analytischer Weise zum Einsatz bringt. Ein wichtiger Komplex in Posts bisheriger Entwicklung sind Arbeiten, die für die Wand konzipiert sind. Diese Wandkörper oder -tafeln, die sich vielfach aus geometrischen Figuren herleiten, haben durch eine entsprechende Gestaltung ihrer Oberflächen zugleich am Medium der Malerei anteil. Neben einer monochromen, flächendeckenden Bemalung setzt er nicht zuletzt Blattgold und auch -silber in entsprechenden Formsegmenten ein. Unterschiedliche Holzkörper, hierzu gehören senkrechte Wandstäbe und Halbkreisbögen, zeigen auf ihren Oberflächen bestimmte Verbindungen von matt-dunkler Farbigkeit und metallischer Beschichtung. Der Künstler schafft hier durch entsprechende Konstellationen zumeist langgestreckter, wechselseitig aufeinander bezogener Flächen eine hohe visuelle Spannung.

Die Wandstäbe etwa zeigen entlang ihrer senkrechten Richtungsachse ein stetiges An- bzw. Abschwellen aufeinander bezogener Flächenwerte. Durch derartige Strukturen erzeugen diese Objekte eine spezifische Rhythmisierung des Rezeptionsvorgangs; gezielt wird in diesen Objekten der Prozess der Anschauung mit thematisch. Die gegebenen Formen verdichten sich in einer pendelartigen Wahrnehmungsbewegung, in der die visuelle Gestalt eine im zeitlichen Moment zentrierte Präsenz gewinnt. Der Künstler rührt in diesen Arbeiten an die Probleme von Wahrnehmung und Zeitlichkeit. Dies impliziert für ihn zugleich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Gegenstand der Anschauung; im Prozess der Perzeption, den die Objekte herausfordern, wird nicht zuletzt deren wechselseitige Verschränktheit sichtbar.

Die sinnlich-ästhetische Form von Posts Arbeiten zeigt sich vielfach als mit begrifflich-theoretischer Reflexion verklammert; Anschauliches wird durch deren Struktur in ein inneres Verhältnis zum Denken gesetzt. Verschiedene Objekte geben durch polar gegliederte Formen gleichsam dialektische Konfigurationen. Die sinnliche Gestalt wird dabei niemals der bloßen Reflexion geopfert; sie bleibt der nicht auflösbare Ausgangspunkt der künstlerischen Erfahrung. Posts Arbeiten geben ein Plädoyer für ein denkendes Sehen, in dem Formen der Abstraktion und ästhetische Gestalt in bestimmter Weise interagieren.

Hans Zitko